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Die Sennalpe - Eine kleine Geschichte des Klimawandels

Berühmte letzte Worte in Zeiten des Klimawandels

des Betreibers der Sennalpe: "Der Hang rutscht nicht ab."

Seneca

„Was du für den Gipfel hältst, ist nur eine Stufe.“

Neulich

im Urlaub im Oberallgäu. Nach einem schweren Gewitter in der Nacht, von dessen Heftigkeit auch die Einheimischen überrascht waren, scheint am nächsten Morgen wieder die Sonne. Und nachdem es in der Nacht noch so schien, als würden die heftigen Folgen des Klimawandels zumindest dem Oberallgäu nunmehr den Todesstoß versetzen, machen wir uns auf den Weg. Ziel, eine Sennalpe auf ca. 1000 Meter Höhe.

Herrliche klare Bergluft, sehr angenehme Temperaturen, der Weg ein bisschen rutschig wegen des Gewitters in der Nacht, aber alle sind ja so froh, dass es geregnet hat. Endlich, es ist Anfang Juni, und es ist heiß und trocken. Zu heiß für die Jahreszeit, nicht an diesem Tag, aber grundsätzlich, wie mir der Sennalpe später sagen wird. Vor allem aber zu trocken, doch dazu später. Und der Regen kam ja in der Nacht, der Urlaub wurde nicht getrübt durch „schlechtes“ Wetter.

Das gute Gewissen

Natürlich sind wir nicht allein, viele Menschen genießen die Einsamkeit in den Bergen, aber immerhin, wir, und all die vielen anderen, die man so bei einer Bergwanderung trifft auf dem 50 cm breiten Wanderpfad, bilden uns ein, nachhaltig zu reisen. Reisen nicht in die Ferne und mit dem Flugzeug, sondern mit dem eigenen Auto in Deutschland. Okay, es ist noch ein Benziner, wie soll man auch mit dem Elektroauto von Kleve ins Allgäu kommen, bei der schlechten Ladeinfrastruktur. Aber immer noch besser als eine Reise mit dem Flugzeug, oder, das böse Wort, eine „Kreuzfahrt“ machen. Kreuzfahrer sind mittlerweile ja fast schon stigmatisiert, ähnlich wie die Geschichtsschreibung im Nachhinein über die Kreuzfahrer des Mittelalters, die auch im guten Glauben gehandelt haben, ein zurecht vernichtendes Urteil gefällt hat. Aber im Ferienort kann man das eigene Auto dann getrost vergessen, dank „Emmi“ muss man nicht auf seine individuelle Mobilität verzichten. Ein spannendes Beispiel das zeigt, das „Anders“ nicht zwingend „Verzicht“ sein muss, sondern nur Umgewöhnung. Interessierte mögen hier selbst mal nachlesen, es lohnt sich.

Mahlzeit - Brotzeit

Immerhin, die Schlange an der kleinen Theke, Direktverkauf von Getränken und kleinen Speisen aus der Scheune, ist nicht soooo lang, als dass man nachhaltig lange warten müsste, und ein Plätzchen im kühlen Schatten unter mächtigen Bäumen, mittlerweile ist es doch wieder heiß geworden, findet sich auch noch. Herzhafte Brotzeiten, Kaffee & Kuchen und selbstgemachter Käse, Wurst und Schinken, noch nicht vegan, aus regionaler Produktion und von alten Haustierrassen, dazu eine Holunderlimonade, alles natürlich in zertifizierter Bio-Qualität. Das erleichtert doch gleich wieder ein bisschen das Gewissen, sie wissen schon, wegen dem Benziner. Und Fairtrade wird es auch sein, auch ohne entsprechendes Siegel. Ist ja schließlich alles selbstgemacht. Aber wie soll man hier oben auf 1000 Meter Höhe auch nicht in Bio-Qualität wirtschaften, intensive Landwirtschaft funktioniert hier ja gar nicht.

Das Gespräch

Wir kommen mit dem Betreiber der Alpsennerei ins Gespräch, ein sehr netter Jungbauer, Mitte/Ende 30. So gar nicht der Typ „Heidis grantiger Großvater“. Wir sind neugierig, wie lebt es sich hier so, wie betreibt man hier eine Bio-Landwirtschaft? Wir lassen uns einladen zu einer kleinen Hofführung, die in einem kühlen, aber leeren Kuhstall beginnt. Die fünf eigenen Kühe, natürlich alle mit Namen, und 10 Pensionskühe sind auf der Weide, man kann sie sehen, 100 Meter entfernt auf einer steilen Bergwiese. Immerhin mit Bäumen, die Schatten bieten. Er müsse sich ein bisschen beeilen, die Kühe wollten in den Stall. Erst jetzt sehe ich, dass die Kühe sich direkt vor dem Weidetor versammelt haben. „Die wollen ins Kühle“, sagt der Bauer. Aha, ich stutze, ich dachte, Weidehaltung sei das A und O für das neuerdings vielbeschworene Tierwohl im Sinne einer artgerechten Haltung, und jetzt wollen die Viecher in den Stall? „Ja, denen wird es zu heiß draußen, was denkst du denn? Du gehst doch auch ins kühle Haus, wenn es draußen zu heiß wird“. Ja, denke ich, stimmt auch wieder. Was für eine Tierquälerei wäre das auch, die Tiere der sengenden Sonne auszusetzen, dann doch lieber Stallhaltung. Immerhin entscheiden die Kühe selbst wo sie sein möchten. „Die zeigen mir schon, wenn es ihnen zu heiß wird und sie in den Stall möchten. Früher war das an heißen Tagen meistens so gegen 13 Uhr der Fall, heute stehen sie schon manchmal um 11.00 Uhr vor dem Tor und wollen rein.“ Und die heißen Tage werden immer zahlreicher. „Aha, denke ich, mittags schon Feierabend für den Betreiber der Alp. Kühe im Stall, melken, fertig… „Aber damit die Tiere auch genug frisches Gras fressen, was den besonderen Geschmack der Milch ausmache, und um den Forderungen nach ausreichend Weidezeit auf der Wiese im Biolandbau gerecht zu werden, müsse er jetzt eben eine Stunde früher aufstehen und die Tiere auf die Weide lassen. Und früher heißt, statt um halb fünf nun um halb vier. Nebenbei bemerkt, das Tagwerk eines Biobauern auf einer Sennalpe endet frühestens um 21.00 Uhr, und das sieben Tage in der Woche von Mitte Mai bis Anfang Oktober. Muss man mögen…

Aber in diesem Moment wird mir klar, der Klimawandel ist real, er verändert unser aller Leben. Im Moment noch im Kleinen, aber die Folgen des Klimawandels nehmen zunehmend Einfluss auf den Alltag, im Moment noch händelbar für jeden von uns, noch nicht bedrohlich, vielleicht lästig, für den Biobauern bedeutet es eine Stunde früher aufstehen, ohne eine Stunde früher ins Bett zu kommen, aber wenn das alles ist…

„Schau dir diesen Bach an. Der war im Mai schon so gut wie ausgetrocknet, da mussten wir mit der Hand den Käse rühren“ sagt er. Dazu muss man wissen, dass das Rührgerät für die Käseherstellung mit Wasserkraft betrieben wird. „Im Winter hatten wir so wenig Schnee, dass es auch nur wenig Schmelzwasser gab. Es taute nur bis etwa Mitte Mai. Noch vor 10 Jahren führte der Bach bis weit in den Juni so viel Wasser, dass wir uns keine Sorgen machen mussten, dass die Maschine stehen bleibt.“

„Was heißt das?“ war meine neugierige Nachfrage? „Dass die ganze Familie mitten in der Nacht aufstehen musste, um den Käse zu rühren, und das nicht nur einmal. Der werdenden Käse müsse ständig gerührt werden, es darf keine Unterbrechung geben, sonst wird das nichts mit dem Käse. Wir müssen dann das Notstromaggregat anwerfen, hilft ja nichts… „Hmm, aber auf den großen Dachflächen könnten man doch eine Solaranlage installieren“, so mein besserwisserischer Einwurf. Da sei er in Verhandlungen mit dem Eigentümer der Sennalpe, man müsse sich über die Verteilung der Kosten einig werden, er sei ja schließlich nur der Pächter der Sennalpe und könne nicht die ganze Summer für die Anlage übernehmen.

Ich traue mich nicht zu fragen, warum einer die meiste Zeit des Jahres mehr oder weniger einsam auf einer Sennalpe verbringt, um 17 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, einen landwirtschaftlichen Betrieb zu managen, der keinen Gewinn abwirft. Und die Ablenkung besteht aus mehr oder weniger ambitionierten Wandervögeln, für die die Berge und die Alpe bestenfalls eine nette Kulisse sind, um Selfies in die Welt zu schicken.

„Aus Überzeugung, einer muss sich ja darum kümmern, dass die bäuerlichen Traditionen hier in den Alpen am Leben bleiben, dass das sensible Netz aus Natur- und Kulturlandschaft erhalten bleibt. Ein spannendes Gespräch entbrennt in Sachen Artenvielfalt und Biodiversität. Der Mann hat echt Ahnung. Der Klimawandel mache den Alltag aber nicht einfacher… Und ohne EU-Subventionen würde gar nichts mehr gehen. Aber unsere Produkte sind nachhaltig erzeugt, von hoher Qualität und in jedem Fall etwas ganz Besonderes.“ Ob man auch von Fairtrade sprechen kann, weiß ich nach all diesen Geschichten nicht mehr, es grenzt schon an Selbstausbeutung, was hier geleistet werden muss.

Zukunft - Umwelt - Gesellschaft (ZUG) gGmbH